Daten - Digitalisierung - Agilität: Sind wir die Guten?
Die Venture Capital Szene hat die Wohnungswirtschaft entdeckt. Weltweit fließen jährlich mehrere Milliarden in sogenannte Proptechs, Startups, die Technologien und digitale Konzepte rund um Immobilien entwickeln. Die traditionellen Anbieter von ERP-Systemen erschaffen eigene „smarte Welten“. Der GdW baut eine Vermarktungs- und Datenplattform für seine Unternehmen. Die globalen Internetfirmen dringen in Wohnungen und Gebäude ein. Diese Entwicklung sorgt für ein ausgesprochen dynamisches Umfeld. Die Veränderungsgeschwindigkeit ist hoch wie nie zuvor, die Komplexität nimmt ebenso stark zu. Es ist gar nicht so einfach, einen Überblick zu behalten. In seinem Kommentar in der DW beantwortet Klaus Leuchtmann, Vorstandsvorsitzender des EBZ, wie Wohnungswirtschaft und Big Data gemeinsam funktionieren können.
Digitalisierung heißt das neue Zauberwort, manchmal auch Wohnungswirtschaft 3.0 oder gar 4.0. – Synonyme für den Aufbruch in ein neues Zeitalter: Optimisten versprechen eine großartige neue Welt hinter all dem Nebel: Überall smarte Prozesse, Kunden, Gebäude, Quartiere. Schade, dass sich die Kunden nicht auch noch digitalisieren lassen, wird mancher heimlich denken. Pessimisten sehen entweder die Angriffe übermächtiger, global agierender Internetkonzerne oder einen rigiden Datenschutz, der vieles sehr schwierig oder gar unmöglich macht.
Versuchen wir es mit einer Portion Realismus: Es geht kein Weg daran vorbei. Jedes Unternehmen muss sich der Digitalisierung stellen, seine eigene Strategie entwickeln. Sonst wird es die Anforderungen der Kunden, der Shareholder, der Gesellschaft irgendwann nicht mehr erfüllen. Ob es uns passt oder nicht, die Kunden werden in naher Zukunft eine Prozessqualität wie bei Amazon erwarten. Und unsere Gebäude werden unglaubliche Datenmengen erzeugen. Im Forschungsprojekt „Allianz für einen klimaneutralen Wohnungsbestand“ haben wir innerhalb von drei Monaten 13 Milliarden Datensätze generiert – mit gerade mal 700 Wohnungen und Gebäuden.
Die Strukturierung digitaler Prozesse, die Entwicklung neuer, digitaler Geschäftsmodelle aber vor allem der Umgang mit großen, sensiblen Datenmengen – dies alles sind Kompetenzen, die nun jedes Wohnungsunternehmen aufbauen muss. Selbst sehr kleine Unternehmen werden zumindest über Grundwissen verfügen müssen. Hand aufs Herz: Das dafür notwenige Know How in den Unternehmen ist überschaubar.
Akzeptanz und Schutz
Und dann sind da noch die Kunden – ein sicherlich entscheidender Faktor in jeder Digitalisierungsstrategie. Wenn sie einen konkreten Nutzen sehen und dann noch das notwendige Vertrauen entwickeln, werden sie mitmachen, vom Kunden zum „Prosumer“ werden, sich an der Weiterentwicklung beteiligen, den Nutzen durch ihr Feedback ausbauen. Und die Datenschutzerklärungen akzeptieren. Ohne Akzeptanz wird es nicht gehen.
Zum souveränen Umgang mit Daten gehört nun mal auch ihr Schutz. Er wird zukünftig deutlich aufwendiger werden, denn die neue EU-Datenschutz-Grundverordnung erhöht die Anforderungen erheblich. Wir müssen verstehen, was „Privacy and Data Protection by Design“ bedeutet. Wir müssen höhere Anforderungen nach mehr Datensicherheit und Schutz der Privatsphäre erfüllen. Wir müssen zukünftig viel mehr.
Wir müssen? Ja, auch hier führt kein Weg daran vorbei. Aber wie wäre es mit einem Wechsel der Perspektive? Wie wäre es mit: Wir wollen! Schließlich geht es im Geschäftsmodell der Wohnungswirtschaft um ein ganz besonderes Gut, einen besonderen Raum. Die Wohnung wird explizit geschützt durch Artikel 13 unseres Grundgesetzes, durch Artikel 8 der Europäischen Menschrechtskonventionen, durch Artikel 12 der UN-Menschenrechtscharta. Wie wäre es, wenn wir, die Wohnungswirtschaft, Hüter dieses besonderen Raumes wird? Wenn wir gemeinsam mit Verbraucherschutz, Mieterbund, Datenschützern und unseren Kunden tragfähige Lösungen entwickeln?
Sicherlich, der Aufwand wäre höher. Aber vielleicht nicht so sehr viel höher, denn die Wohnungswirtschaft kann sich einen auch nur ansatzweise fahrlässigen Umgang mit Daten ohnehin nicht leisten. Aber so kann ein deutliches Unterscheidungsmerkmal zu allen Wettbewerbern, die in die Wohnung drängen, geschaffen werden. So entsteht eine offensive Strategie, so kann notwendiges Vertrauen aufgebaut werden. Wenn klar ist, dass die Daten bei uns sicher sind, wir mit ihnen verantwortungsvoll umgehen, spätestens dann wird klar: Wir sind die Guten!
Der Weg dorthin: Personalentwicklung
Der Weg dorthin bedeutet vor allem eins: Personalentwicklung. Die Ausbildung von ein paar Spezialisten wird nicht reichen, Digitalisierung betrifft fast alle Beschäftigtengruppen. Der souveräne Umgang mit Daten, mit Komplexität und Geschwindigkeit in einer immer digitaler werdenden Welt gehört in Aus- und Weiterbildungsprogramme, in die Breite – ein digitaler Führerschein als Grundausbildung, als Mindeststandard. Innovation, Kreativität, nicht-lineares Denken, Neugierde, Offenheit werden Schlüsselkompetenzen der Zukunft. Es wird nicht reichen, diese Kompetenzen nur über Ausbildung zu vermitteln. Denn über 90% der Belegschaften sind schon länger im Unternehmen, wir brauchen ihr Erfahrungswissen und ihre Bereitschaft, sich auf die neuen Themen einzulassen. Und wir brauchen Führungskonzepte, die Agilität fördern, nicht blockieren.
Der Aufbau digitaler Kompetenzen, eine zielgerichtete Personalentwicklung, ist der Schlüssel zum Erfolg. Sie ist die Grundlage für eine offensive Strategie, mit der sich die Wohnungswirtschaft im Wettbewerb mit den neuen Akteuren einen großen Vorsprung verschaffen kann. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, mit den Daten der Menschen verantwortungsvoll umzugehen und sie gewinnbringend für lebenswerte, smarte Quartiere einzusetzen.
Mehr Informationen zum Fachmagazin DW Die Wohnungswirtschaft finden Sie hier.
Den Kommentar von Klaus Leuchtmann können Sie gern als PDF herunterladen.