Endstation Fachkräftemangel oder Autobahn Arbeitgebermarke?
Laut EBZ Personalentwicklungsstudie klagt jedes zweite Unternehmen darüber, keine qualifizierten Mitarbeiter mehr finden zu können. Wohnungsgenossenschaften trifft es besonders hart. Sandra Balicki, Personalleiterin der Wohnungsbaugenossenschaft KAIFU-NORDLAND eG und Vorsitzende des Fachausschusses Personal im VNW Hamburg, sieht in der Stärkung der Arbeitgebermarke eine Lösung. Im Interview erläutert die Expertin, wie speziell Wohnungsgenossenschaften bei Fachkräften punkten können.
Die Stärkung einer Arbeitgebermarke hört sich zunächst nach Arbeit an. Welchen Nutzen haben die Wohnungsunternehmen und Genossenschaften davon?
Balicki: Es geht heute neben dem Kerngeschäft um weit mehr. Die Wohnungswirtschaft ist von den Megatrends wie Digitalisierung, Individualisierung und Arbeitswelt 4.0 erfasst. Die Unternehmen müssen sich mit Themen wie der Weiterentwicklung ihres Wohnungsbestandes, Integration und Quartiersmanagement, Vernetzung sowie Partizipation auseinandersetzen. Parallel dazu hat der demografische Wandel Einzug in die Abteilungen gehalten. Die jetzigen Fachkräfte verlassen in absehbarer Zeit die Unternehmen. Diese wiederum brauchen fortlaufend eine gewisse Personalstärke und Quantität, damit das Kerngeschäft läuft und weiterentwickelt wird. Und wer verantwortet diese Aufgabe; wer setzt sie um?! Die Ressource Personal wird in solch anspruchsvollen Zeiten immer wichtiger.
Doch die Rekrutierung neuer Mitarbeiter gestaltet sich nicht mehr so problemlos wie früher. Die Branche ist längst im Kampf um die klugen Köpfe angekommen und steht dabei in Konkurrenz mit anderen Branchen. Höchste Zeit, sich um die Arbeitgebermarke Gedanken zu machen, denn die Arbeitgeberattraktivität ist für die Öffentlichkeitswirkung wichtig und spielt eine entscheidende Rolle bei der Personalrekrutierung. Daher mein Appell: Eine positive Präsenz vor Ort zeigen und die Wahrnehmung für sich als Arbeitgeber heben.
Human Ressources ist der Schlüssel und Treiber für die Weiterentwicklung und somit auch das Weiterbestehen von Unternehmen – und das grundsätzlich als strategischer Partner der Unternehmensleitungen. Das betrifft die grundsätzliche Ausrichtung des Unternehmens, Ziele und Richtungen wie auch die Unternehmenskultur – da sprechen wir noch nicht über einzelne Bereiche wie die Personalentwicklung, die unabdingbar ist, um das Unternehmen innovativ und zukunftssicher aufzustellen und voranzutreiben.
Arbeitnehmer wollen gesehen werden
„Great Place to Work“ krönt jährlich die besten Arbeitgeber. Das kleinste, in diesem Jahr ausgezeichnete Unternehmen, hat 63 Mitarbeiter. Ist Arbeitgeberattraktivität überhaupt ein Thema für Wohnungsgenossenschaften, die durchschnittlich weniger Mitarbeiter haben?
Balicki: Gerade weil wir so klein sind, ist es aus mehreren Gründen von so großer Bedeutung! Denn die Themen sind letztendlich die Gleichen: Ebenso wie große Unternehmen müssen sich Kleine um den Bestand, das Kerngeschäft und ihre Mitglieder als besondere Kunden kümmern und brauchen dazu eben die passenden Mitarbeiter. Personalmangel trifft kleine Unternehmen noch stärker, zum Beispiel weil es hier weniger Möglichkeiten für die Umverteilung der Aufgaben gibt. Gleichzeitig müssen sie sich aber beim Personalrecruiting mit den großen Unternehmen behaupten.
Speziell für Genossenschaften hat die Auswahl der Mitarbeiter einen hohen Stellenwert und gestaltet sich anspruchsvoll. Sie benötigen Fachkräfte, die neben dem fachlichen Know How über das Wissen um die spezielle Rechtsform verfügen und gleichzeitig die genossenschaftlichen Werte begreifen, teilen und verfolgen. Dieser Fokus macht die Bewerberauswahl außergewöhnlich.
Was macht Arbeitgeber attraktiv? Was verstehen Sie unter „Investitionen in die Arbeitgebermarke“?
Balicki: Im Grunde genommen, ist der erste Schritt recht einfach: Arbeitnehmer sind zufrieden, wenn sie vom Arbeitgeber gesehen werden, wenn sie sich in ihrem Arbeitsumfeld wohl fühlen, wenn ihre Sorgen und Nöte berücksichtigt werden. Zufriedene Mitarbeiter sind engagierter, gesünder, flexibler und innovativer – und das wiederum zahlt auf den Unternehmenserfolg ein!
Des Weiteren gibt es zahlreiche Themen und Maßnahmen, die zwar Zeit, Geld und auch Mühen bedeuten, aber als wichtige Investitionen in die Arbeitgebermarke zu werten sind. Von immer größerer Bedeutung für Mitarbeiter sind Entwicklungschancen. Die Möglichkeit, eine kontinuierliche Weiterbildung zu erfahren, macht Arbeitgeber für Arbeitnehmer interessant. Rund 70% der Beschäftigten werten dies als die attraktivste Eigenschaft von Unternehmen – dies ergab die Studie „Attraktive Arbeitgeber 2018“ von berufsstart.de. Optimal ist dabei eine lebensphasenorientierte Personalentwicklung, die sich an den jeweiligen Lebensstationen bzw. -situationen der Beschäftigten orientiert.
Speziell die Work-Life-Balance hat in Vergangenheit an Bedeutung gewonnen, allem voran flexible Arbeitszeiten und -orte.
Darüber hinaus legen attraktive Arbeitgeber Wert auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiter und lassen dies die Beschäftigten spüren – sei es durch ergonomische Arbeitsplätze als auch die Unterstützung einer guten Gesundheit am Arbeitsplatz. Das Tüpfelchen auf dem „i“ sind die Angebote, die über das hinausgehen, was verpflichtend und normal ist. Dazu gehören ein Kümmern und vielleicht das Schließen der einen oder anderen Lücke – zwischen präventiv und kurativ – in unserem Gesundheitssystem wie zum Beispiel durch Gesundheitscheckups. Aber auch Mitarbeiterunterstützungsprogramme (EAP employee assistance program) sind eine nutzbringende Zusatzleistung. Und natürlich zählen bedarfsgerechte Sozialleistungen zu besonders wichtigen Themen wie z.B. der betrieblichen Altersvorsorge zu einem attraktiven Gesamtpaket
Miteinander statt gegeneinander
Sind Wohnungsgenossenschaften denn attraktive Arbeitgeber? Mit welchen Vorteilen können sie glänzen und Arbeitnehmer von sich überzeugen?
Balicki: Allem voran mit dem Inhalt unserer Arbeit. In unserer Gesellschaft geht es immer mehr um Partizipation, Teilhabe und Sinnhaftigkeit im Dasein und Tun. Arbeitnehmern ist die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit zunehmend wichtiger. Die Wohnungswirtschaft ist ein besonders attraktiver Arbeitgeber, weil die Branche nichts Geringeres leistet als den Menschen das Grundbedürfnis Wohnen zu erfüllen. Speziell Genossenschaften tragen noch weit darüber hinaus zum Wohlbefinden der Mitglieder bei und bieten häufig quasi Rund-um-sorglos-Pakete.
Zudem sind viele Genossenschaften tarifgebunden, garantieren darüber hinaus Sozialleistungen und bieten sehr attraktive Arbeitsbedingungen an. Das sind entscheidende Vorteile, die es unbedingt stärker nach außen zu kommunizieren gilt.
Was hingegen sind „Todsünden“? Was vergrault Arbeitnehmer?
Balicki:
1. Schlechtes Arbeitsklima
2. Schlechte Bezahlung
3. Keine Weiterentwicklungsmöglichkeiten
Wenn im Unternehmen nicht miteinander, sondern gegeneinander gearbeitet wird, sind Mitarbeiter schnell bereit, sich einen neuen Arbeitgeber zu suchen. Ebenso wirkt sich eine nicht auf die Mitarbeiter orientierte Führung negativ aus. Die Rolle der Führung und das Führungsverständnis haben sich in jüngster Vergangenheit stark geändert. Gerade in heutigen Zeiten schneller Veränderungen ist es essentiell, Mitarbeiter mitzunehmen, ihnen eine Richtung und Vision an die Hand zu geben. Speziell die Generation Y – aber auch alle anderen Generationen durchmischt in unseren Belegschaften - hinterfragt das Arbeitsumfeld und Arbeitsgebiete. Wenn die Führung nicht kooperativ ist und die Mitarbeiter nicht an der Unternehmensstrategie teilhaben können, dann wirken diese auch nicht mit. Sie gehen, wenn sie das Gefühl haben, schlecht geführt zu werden und sie gehen, wenn ihnen das Gefühl vermittelt wird, dauerhaft nicht beachtet zu werden.
Das Schöne aber ist: Sie werden in den Erfolg einzahlen, neue Ideen ins Unternehmen tragen, sich gewinnbringend mit hohem Engagement einsetzen, wenn die Führungsriege Partizipation im Unternehmen lebt.
Haben Sie für Wohnungsgenossenschaften Verbesserungstipps oder gar eine „Top-3-Liste“ mit Maßnahmen, die sie zu den beliebtesten Arbeitgebern werden lassen?
Balicki: Kurz und kompakt formuliert:
1. Reden Sie mit Ihren Mitarbeitern! (Schaffen Sie Leitlinien für ein kooperatives Miteinander und eine positive Unternehmenskultur. Dazu gehören eine gute Führung, Offenheit und Ehrlichkeit und Partizipation im Grundsatz sowie geeignete Instrumente die dies kontinuierlich am Leben halten.)
2. Fördern und fordern Sie Ihre Mitarbeiter! (Betreiben Sie eine strategische, vor allem auch qualitative Personalbedarfsplanung und eine entsprechende kontinuierliche Personalentwicklung.)
3. Fragen Sie, was Ihre Mitarbeiter brauchen und schaffen Sie attraktive Rahmenbedingungen! (Investieren Sie in bedarfsgerechte Sozialleistungen, betriebliche Altersvorsorge bis hin zu flexiblen Arbeitsbedingungen.)
Hinterfragen der eigenen Präsenz
Wie findet eine Wohnungsgenossenschaft heraus, ob Arbeitgeberattraktivität ein Thema ist, mit dem sie sich beschäftigen sollte?
Balicki: „Erhalten wir noch ausreichend Bewerbungen von qualifizierten Interessierten?“ Eine Analyse und ehrliche Antwort auf die Frage gibt Aufschluss darüber, ob Handlungsbedarf besteht. Grundvoraussetzung dafür ist natürlich eine gewisse Arbeitgeberpräsenz auf dem Arbeitsmarkt. Wie ist unser Ruf? Heute muss bedacht werden, dass sich potenzielle Arbeitnehmer über Arbeitgeberbewertungsplattformen im Internet wie zum Beispiel kununu.de über Unternehmen informieren. Ein Blick in solche Portale kann ebenfalls Aufschluss geben, denn hier wird außen kommuniziert, was innen wahrgenommen wird. Und selbstverständlich ist die genaue Analyse der Mitarbeiterfluktuation unerlässlich.
Was tun, wenn trotz aller Bemühungen ein gut qualifizierter und wertvoller Mitarbeiter die Genossenschaft verlassen möchte?
Balicki: Natürlich kann man nicht jeden halten. Es gibt aber durchaus Handlungsoptionen, um Mitarbeiter weiterhin für das Unternehmen zu begeistern. Dabei muss Karriere nicht nur als eine Tätigkeit in einer Führungsposition verstanden werden. Die Herausforderungen der Branche sind groß und es bietet sich an, qualifizierten Fachkräften verantwortungsvolle Aufgaben in „Zwischenpositionen“ zu übertragen. Auch vielfältige flexible Arbeitsformate bieten attraktive Positionen – neben den vertikalen sind immer mehr auch die horizontalen Laufbahnen gefragt.
Sollten sich Mitarbeiter dennoch für einen Arbeitgeberwechsel entscheiden, sind Austrittsinterviews empfehlenswert. Im offenen Dialog können hier die Gründe für den Arbeitgeberwechsel erörtert werden, sodass mögliche Verbesserungspotenziale von Arbeitgeberseite erkannt und Hürden und Probleme behoben werden können.
Grundsätzlich hat sich die durchschnittliche Verweildauer der Arbeitnehmer im Unternehmen in der Vergangenheit verkürzt. Fachkräfte verspüren heute stärker den Drang, den Arbeitgeber zu wechseln, um etwas Neues kennenzulernen, sich selbst zu verwirklichen oder auch passendere Arbeitsumfelder zu finden. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht nach einigen Jahren wieder zurückkehren möchten. Deshalb ist eine gute Kontakthaltung mit ehemaligen Mitarbeitern empfehlenswert. Von den gewohnten linearen Lebensläufen haben wir uns verabschiedet; bunte Erwerbsbiografien erfordern unsere Flexibilität und unsere dauerhafte Präsenz. Wir dürfen als Arbeitgeber nicht in Vergessenheit geraten – so kommen Ehemalige gegebenenfalls wieder!