Sybille Wegerich: Wir werden unser Produkt anders definieren müssen"

Sybille Wegerich ist seit 2014 Vorstand der bauverein AG in Darmstadt. Die studierte Betriebswirtin spricht im Interview über die aktuellen Herausforderungen – und betont, wie wichtig Ausbildung ist.

Frau Wegerich, seit 30 Jahren arbeiten Sie in der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft. Was ist der wesentlichste Punkt, der sich in der Zeit geändert hat?

Sybille Wegerich: Als ich angefangen habe, ging es den Unternehmen um ihr eigenes Wohlergehen. Die Unternehmen betrachteten die Mieter nicht als Kunden. Das hat sich in den Neunzigerjahren gewandelt, als durch viele Neubauprojekte im Osten auch die Bedürfnisse der Mieter eine Rolle spielten. Ich mache da kein Hehl draus: Unsere Branche kam aus der Gemeinnützigkeit und war nicht darauf ausgerichtet, profitabel zu arbeiten. Das hat sich in den Neunziger- und 2000er-Jahren gewandelt und die Branche wurde professioneller. In den letzten 20 Jahren haben wir unglaublich viel auf der sozialen Schiene gemacht und den Ausfall der staatlichen Fürsorge kompensiert, indem wir in die Verbesserung von Lagen investiert haben.

"Wir haben Menschen in eine stabile Heimat gebracht"

Haben Sie Beispiele?

Wegerich: Da sind zum Beispiel die Großsiedlungen in Berlin, die modernisiert wurden, oder Osterholz Tenever in Bremen – das ist ein ganz klassisches Beispiel. Ich selbst hatte in Köln 40.000 Wohnungen und zehn bis 15 Sozialarbeiter, die sich um den sozialen Zusammenhalt gekümmert haben. Wir haben Dreißigerjahre-Siedlungen denkmalgerecht modernisiert und die Menschen in eine stabile Heimat gebracht. Insgesamt haben die kommunalen Wohnungsunternehmen in dieser Zeit sehr viele stadtbildprägende Veränderungen und Verbesserungen hingekriegt. Das ist viel Arbeit, denn Soziales ist nicht nur Geldausgeben, sondern da sein für die Menschen. Mit dem großen Schwerpunkt auf die Ökologie – den ich für unverzichtbar halte – muss man nun aufpassen, dass das Soziale nicht vergessen wird und ein neues Gleichgewicht zwischen den Nachhaltigkeitswippen finden.

Welche Rolle spielt dabei eine Bildungseinrichtung wie das EBZ?

Wegerich: Das EBZ ist Trendscout und Vordenker und lässt Menschen auf eine sehr kommunikative Art mit Themen groß werden. Sei es bei der Ausbildung, der Weiterbildung oder im Studium. Das EBZ läuft der Entwicklung nicht hinterher, sondern setzt die Themen, die erkannt werden, in Machbarkeit um. Ich schätze am EBZ, dass die Umsetzung der Theorie in die Praxis mitgedacht wird – Denken und Machen gehören im EBZ zusammen.

Waren das Beweggründe für Sie, in den Vorstand des EBZ zu gehen?

Wegerich: Ich will nicht verhehlen, dass es eine große Ehre ist, gefragt worden zu sein. Ich glaube aber grundsätzlich, dass wir viel mehr in unsere Mitarbeiter investieren müssen als wir das früher getan haben, als wir viel in die Steine investiert haben. Andererseits wollte ich auch gerne noch einmal eine Lernkurve starten und erfahren, wie Bildung funktioniert. Es ist etwas Anderes, ob ein Unternehmen ein Bildungsangebot sieht und bucht oder ob Sie im Maschinenraum eines Bildungsanbieters arbeiten und diese Bildungsangebote selbst erstellen müssen.

"Das EBZ hört der Branche zu und geht Veränderungen mit"

Wie können Sie sich als Vorstand da einbringen? Wurden schon Ideen von Ihnen umgesetzt?

Wegerich: Ich bin nebenamtlicher Vorstand und im Tagesgeschäft nicht so direkt involviert. Für die beiden hauptamtlichen Vorstände bin ich eher der Sparringspartner, um zu ermitteln, ob das, was im EBZ geplant wird, in der Wirtschaft benötigt wird. Aber ich merke auch, dass das EBZ der Branche zuhört und Veränderungen mitgeht. Aber wie groß mein Anteil daran ist, möchte ich nicht bewerten.

Momentan scheint alles schnell gehen zu müssen. Der Fachkräftemangel ist akut, die Klimaziele ambitioniert, die Vorgaben nebulös. Ist das Erstellen von Bildungsangeboten da so etwas wie das berühmte Stochern im Nebel?

Wegerich: „Stochern im Nebel“ ist noch vorsichtig ausgedrückt. Es gibt ein Ziel, aber niemand kennt den Weg. Dazu kommen die sehr unterschiedlichen Voraussetzungen, unter denen Wohnungsunternehmen arbeiten, und die unterschiedliche Geschwindigkeit, mit der sie die anstehenden Aufgaben angehen. Kleine Unternehmen lassen sich eher noch etwas Zeit, während große schon jetzt mit großem Aufwand an die Arbeit gehen müssen. Die Aufgaben, die vor uns liegen, sind so komplex und jedes einzelne Management versucht, sie zu lösen. Vielleicht sollten wir aber eher daran arbeiten, das Problem zu managen und unsere Mitarbeiter zu befähigen, eigene Lösungen zu entwickeln. Da muss das Management vielleicht auch loslassen und nicht sagen: „Wir haben in den letzten 30 Jahren die Welt gerettet, wir werden sie auch jetzt retten“. Aber auch das EBZ ist in der VUCA-Welt angekommen und wird daran mitwirken, hier zu vermitteln.

Welche Denkmuster müssen denn durchbrochen werden? Muss die Branche zusammenrücken?

Wegerich: Wir müssen Herausforderungen als Chancen sehen. Als Chance, etwas gemeinsam zu bewegen. Die Kooperationsbereitschaft wächst, auch wenn sie noch nicht selbstverständlich ist. Gerade im Bereich der Digitalisierung tut sich da einiges, und kleinere Unternehmen schließen sich zusammen und lassen Lösungen entwickeln, für die jedes einzelne Unternehmen vielleicht zu klein wäre. Ein Denkmuster, das wir durchbrechen müssen, ist unser Kerngeschäft. Was ist das überhaupt und womit verdienen wir Geld? Es gibt noch keinen disruptiven Geschäftsprozess. Wir vermieten immer noch selbst, so etwas wie Booking.com für Mietwohnungen gibt es noch nicht. Unser Denkmuster ist, dass uns das Haus und die Mieter und das Grundstück und das Drumherum gehören. Aber das Produkt werden wir anders definieren müssen.

Das klingt so wie die Unterscheidung in Hardware und Software in der IT-Branche. Dort gab es am Anfang eine weitgehende Trennung zwischen Hardware-Herstellern und den Firmen, die die Betriebssysteme hergestellt haben. Apple vereint traditionell beides, inzwischen baut auch Microsoft eigene Rechner.

Wegerich: Und IBM ist daran zerbrochen, genau.

"Unsere Branche verdient immer noch gutes Geld"

Heißt das für die Wohnungswirtschaft, dass sie in Hardware – Immobilien – und Software – Vermietung – trennen sollte?

Wegerich: Unsere Branche verdient immer noch gutes Geld, weil jeder wohnen muss. Unser Produkt ist nicht ersetzbar. Wir verdienen mit dem großen Vermögen, das wir in der Regel haben, sehr gutes Geld. Das lässt man natürlich nicht gerne los. In meinem Unternehmen verdiene ich 90 Prozent, weil ich Mietern einen Schlüssel für eine warme Wohnung überlasse. Die anderen zehn Prozent verdiene ich mit sehr mühseligen Prozessen auf der Verwaltungsseite, bei der Digitalisierung, der Optimierung von Prozessen und so weiter. Meine Sorge ist nur, dass sich unser Geschäftsmodell dem Ende nähert, weil sich viele meiner Kunden die Miete nicht mehr leisten können. Meine Kosten drücken von unten, aber ich kann zehn Prozent höhere Personalkosten nicht einfach eins zu eins auf die Miete umlegen. Mit der Einstellung, dass das seit 150 Jahren gut gegangen ist, werden wir nicht weiterkommen. Aber da bin ich die Kassandra, die man ungern hört. Ich bin aber überzeugt, dass das Produkt Vermietung die steigenden Kosten nicht mehr lange tragen kann.

Früher hieß es, Bäcker und Metzger werde es immer geben, weil: Gegessen wird immer …

Wegerich: … möööööp….

… Genau! Jetzt kommen Brötchen aus der Fabrik und immer mehr Menschen werden Vegetarier. Gewohnt wird vermutlich wirklich immer, aber die Bewirtschaftung muss sich ändern?

Wegerich: Die Kostenstruktur unserer Verwaltung wird sich massiv ändern müssen. Bei unseren Mitarbeitern geht unheimlich viel Zeit drauf für Wohnungsübergaben, Auszüge, Einzüge und so weiter. Am Monatsende müssten die sich eigentlich klonen. Aber was erwartet ein moderner Mieter denn überhaupt? Es gibt Hotels, da hole ich den Schlüssel aus einem Kasten und suche mir das Zimmer. Ich kann doch auf einem guten virtuellen Rundgang durchs Haus sehen, wo mein Keller ist, wo der Stromzähler ist und wo die Mülltonnen stehen. Das geht alles, ohne dass jemand vor mir steht. Meine Mitarbeiter sagen, sie würden gerne sehen, wer einzieht, mit wem sie es künftig am Telefon zu tun haben, wie die Person so ist. Die würden ihre Kunden gerne sehen. Wenn ich aber den Kunden in den Mittelpunkt stelle, frage ich: Will der Kunde dich überhaupt sehen? Eine Eins-zu-Eins-Betreuung haben wir ohnehin schon nicht mehr. Und 90 Prozent meiner Kunden brauchen nicht mich als Unternehmen, sondern mein Produkt.

Kann man den anderen zehn Prozent dann den persönlichen Service nicht als Premium-Produkt in Rechnung stellen?

Wegerich: Mieter sind nicht Willens oder in der Lage, für Dienstleistungen wie einen Concierge Geld zu bezahlen. Für die ist das Produkt Wohnung dienstleistungsfrei. Viele Mieter würden sich ein Digitalisierungspaket auch lieber beim örtlichen Versorger holen als bei mir. Wir haben eine App und ein Kundenportal, aber das wird noch wenig genutzt, weil die Menschen immer noch lieber anrufen, wenn sie einen Schaden in der Wohnung haben. Ich glaube auch nicht, dass die Kundenzufriedenheit steigt, wenn man besseren Service gesondert in Rechnung stellt.

"Die Energielobby legt der Wohnungswirtschaft Steine in den Weg"

Axel Gedaschko warnt, Wohnungsunternehmen dürften nicht zu Energieversorgern werden. Aber liegt da nicht auch eine Chance, das Geschäftsmodell neu zu denken?

Wegerich: Er hat das differenzierter gemeint. Die Branche möchte von dem Strom, den sie produziert, auch profitieren. Stattdessen legt die Energielobby den Wohnungsunternehmen Steine in den Weg, weil sie gerne die Hoheit über die Einspeisung und die Netze für sich beansprucht. Wenn sich ein Wohnquartier weitgehend autark mit Energie versorgen würde, würde den Energieversorgern das Geschäftsmodell wegbrechen. Wir wollen ja nicht auf die Zulieferung der Stadtwerke verzichten. Wir brauchen also die Infrastruktur der Versorger. Wir kommen in Deutschland aber nur weiter, wenn wir dezentrale Modelle der Energieversorgung ermöglichen. Die Wohnungsunternehmen müssen Stromanbieter werden – aber eben zu fairen Konditionen. Ich verstehe die Blockadehaltung nicht, weil die Wohnungsunternehmen zum Beispiel das Problem der Ladeinfrastruktur für E-Autos gleich mitlösen könnten, ohne dass die Netzbetreiber ihre Infrastruktur ausbauen müssten. Aber gegen die Energielobby kommen wir da nicht an.

Wie kann es die Wohnungswirtschaft schaffen, die für all diese Veränderungen benötigten Mitarbeiter zu bekommen? Ist da ein Imagewandel nötig? An der Mieterzufriedenheit kann es nicht liegen – die ist ja hoch.

Wegerich: Als Vermieter haben wir unter dem Image zu leiden, wir wären Raffzähne. Und natürlich haben wir große Vermögen, was in Deutschland ja grundsätzlich kritisch beäugt wird. Aber die großen Vermögen sorgen auch dafür, dass es uns auf absehbare Zeit gut gehen wird. Unsere Branche hat den höchsten Purpose, den man sich denken kann – eigentlich müssten uns alle die Bude einrennen. Die Unternehmen des GdW sind so nachhaltig. Da schielt keiner nur auf sein Geld. Und ja, die Mieter sind sehr zufrieden, und trotzdem ist das Image schlecht. Ich glaube, eine Kampagne reicht da nicht. Die Leute, die sich mit Digitalisierung oder KI befassen, die kreativ sind und etwas bewegen wollen, die haben wir noch nicht angefixt. Wir müssen kreativen Spielraum schaffen und die Herausforderung klar benennen. Das Ziel, unseren Bestand in 20 Jahren sozialverträglich klimaneutral zu machen, ist zu abstrakt, um damit jemanden anzulocken. Da ist noch viel zu tun. Hinzu kommt, dass es bei uns lange dauert, bis ein neuer Prozess zu Ergebnissen führt. Als junges Talent in der Wohnungswirtschaft brauchen Sie einen langen Atem. Aber es lohnt sich. Wir müssen unsere Herausforderungen und Ziele so klar benennen, dass wir Talente anziehen.

Die EBZ Business School bietet den Studiengang „Nachhaltiges Energie- und Immobilienmanagement“ an. Muss man den dann öffentlichkeitswirksam in „Klimaretter“ umbenennen, um – im positiven Sinne – Querdenker zu gewinnen?

Wegerich: Dieser Studiengang befähigt Sie, Probleme zu erkennen, zu lösen und zu steuern. Sie kommen als Absolvent in ein Unternehmen mit gewachsenen Strukturen und passen vielleicht nicht ins vorhandene Stellenprofil. Das Problem ist, dass die Unternehmen noch nicht wissen, dass sie die Absolventen dieses Studiengangs brauchen, weil einfach diese Mentalität des „Es war doch schon immer so“ vorherrscht. Wer will denn schon von einem positiven Querdenker, der gut eingespielte Strukturen infrage stellt, aus seiner Komfortzone geholt werden?